Tischrede Klaus Schütz

Klaus Schütz
Tischrede, 28. 04. 2005

Warum gibt es einen Förderverein für Jiddische Sprache und Kultur in Deutschland? Vor 13 Jahren hätten wir wahrscheinlich andere Antworten auf eine Frage dieser Art gegeben als heute: Damals schien uns die Förderwürdigkeit gegeben. Weil die Älteren von uns den Untergang des Jiddischen in Europa verschuldet hatten. Weil uns Jiddisch emotional anrührte. Und weil uns jede Kultur erhaltenswert schien. Besonders wenn sie nicht etabliert und damit also völlig schutzlos erschien.

Das gilt auch heute noch. Aber es sind weitere Antworten hinzu gekommen. Und zwar bedingt durch das, was inzwischen in der Welt, in Europa und in Deutschland geschehen ist. Denn: Bei aller positiven Entwicklung und Festigung der praktischen Demokratien in der europäischen Gesellschaft ist noch kein europäischer Konsens darüber entstanden, was die Identität dieser neuen europäischen Gesellschaft ausmachen soll. Da gibt es ein Desiderat.

Noch stehen – nicht zuletzt auch in Europa - in Europa die Ideen des 19. und 20. Jahrhunderts im Raum, geprägt von der Vorstellung, dass ein Territorium, eine Sprache, eine Kultur und eine gemeinsame Genealogie die Identität eines Staates ausmache. Wir wissen, dass sich aus dieser geistigen Prägung heraus eine Kultur der Konkurrenz der Völker entwickelt hat, die zu den Kriegen dieser beiden Jahrhunderte geführt hat. Und in Verbindung mit pseudo-wissenschaftlichen Rassetheorien zu den menschlichen und kulturellen Katastrophen dieser beiden Jahrhunderte.

Wir wissen um die Wirkung dieser Nationalstaatsideen in unsere europäische Gegenwart hinein. Etwa in den Balkankriegen, die den Begriff „ethnische Säuberung" hervorgebracht haben. Oder in der epidemischen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und in vielen Nachbarländern. Dort, wo sich die Popularisierung und die Vereinfachung des „Nation"- Begriffs mit sozialem Abstieg mischen. Wir wissen auch um die Erfordernis einer neuen staatsbürgerlichen Identität, um die moderne, mobile und globalisierte europäische Gesellschaft zu stabilisieren. Es bleibt festzustellen, dass die Europäische Union bereits entsprechende Förderprogramme aufgelegt hat.

Europa hat in seinem kulturellen Erbe aber auch Vorstellungen von Kultur und kultureller Identität, die geeignet sind, das Elend der destruktiven Nationalkultur der vergangenen zwei Jahrhunderte zu korrigieren.

Wir haben Momente davon mit dem Jiddischen deutlich vor Augen: Etwa: ein für die Gesellschaft selbstverständliches kulturelles Nebeneinander. Oder: eine fest verwurzelte Ko- territorialität mit anderen Sprachen. Oder: das Verwobensein mit einem Ort und zugleich die Bereitschaft, Minderheit zu sein. Und eine Kultur, die nie ein Territorium abgesteckt hat und die fern jeder Vorstellung war, sich mit Armeen Raum zu erobern. Das sind - wie wir wissen - die Grundkomponenten einer Gesellschaft, die über Jahrhunderte und über geographische Räume hinweg die eigene kulturelle Prägung herausgebildet und bewahrt hat.

Und weil wir die Anziehungskraft solcher Komponenten spüren, wollen wir uns und anderen diese einst selbstverständlichen Lebensformen wieder vor Augen führen. Wir wollen sie in der europäischen Gegenwart nutzbar machen. Die Stimmen des Archivs bringen uns aus der Distanz heraus die Realität jiddischer Kultur nahe – wir haben die Chance, dieses Stück europäischen Erbes sichtbar und wirksam für uns heutzutage werden zu lassen. Deshalb das elektronische EYDES-Archiv.

Es sind hier im Namen von EYDES eine Reihe bekannter, hochrangiger Hochschullehrer versammelt. Dennoch ist EYDES kein universitäres Forschungsprojekt. Der Förderverein ist keine Institution, die zum Ziel hat, sprachwissenschaftliche Spitzenforschung zu erbringen oder zu fördern. Dies tun andere. Es ist die zentrale Aufgabe der Universitäten selbst.

Der Förderverein erbringt mit dem Aufbau des elektronischen EYDES-Archivs eine konkrete Dienstleistung. Sie war bisher von der Wissenschaft und von den Kulturinstanzen eingefordert. Sie fehlt aber bisher immer noch. Wir, der Förderverein, möchten als Bürger aus Deutschland, Israel, den USA und Kanadas helfen, einen fast vergessenen Teil unseres kulturellen Erbes ins Licht zu rücken.

Wir haben jetzt und das haben die anwesenden Wissenschaftler bestätigt, den New Yorker Language and Culture Atlas in einen Zustand befördert, der es möglich macht, diese Dienstleistung zu erbringen.

Den hier anwesenden Wissenschaftler ist zu danken. Sie haben Anteil, dass mit EYDES ein wissenschaftlich hochwertiges und - so sagen sie - effizientes Instrument geschaffen wurde, um das Jiddische unseres kulturellen Erbes aufzubereiten und Kenntnis davon zu verbreiten. Wir haben mit EYDES vielleicht ein Paradigma geschaffen, das von anderen Fachgebieten adaptiert wird und wir hoffen, dass es die Ideen aus dem Jiddischen mit in diese Fachwissenschaften hinein zieht.

Den hier versammelten Wissenschaftlern ist aber auch dafür zu danken, dass sie dafür plädieren, das Archiv zu Rate ziehen, und dass sie es für ihre eigene Forschungsarbeit nutzen wollen. Sie helfen so mit, die erwünschte Wirkungsmöglichkeit des Archivs zu entfalten. Wir hoffen auf eine Art von Schneeballeffekt.

Den anwesenden Vertretern der Wirtschaft ist zu danken, dass sie für das Thema „Jiddisch" ansprechbar sind – es ist unter dem Marketing-Gesichtspunkt kein attraktives Thema und Sie wissen ja, dass wir, als wir Sie eingeladen haben, durchaus auch an Geld gedacht haben. Sie zeigen, dass Sie gar nicht so ausschließlich auf den „Quartalsabschluß" fixiert sind, wie oft behauptet wird.

Den Gästen aus Politik, Ministerien, aus Kultur und von den Medien ist zu danken, dass sie zu uns gekommen sind. Jiddisch, das „riecht" nach Ost-West-Problematik/Immigration – kein Thema, mit dem derzeit jemand gerne an die Öffentlichkeit geht. Auch Sie wissen, dass wir etwas von Ihnen wollen. Sie sind mutig und machen Hoffnung, dass die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen und Perspektiven und Visionen zu entwickeln unserer Gesellschaft doch nicht abhanden gekommen ist.

Wir danken den Botschaften der Republiken Litauen, Polen und Moldau, dass sie die Schirmherrschaft für diese Veranstaltung übernommen haben. Es ist ein Zeichen, dass dort, wo politische Verantwortlichkeiten wahrgenommen werden, die europäische Kultur in allen Facetten gesehen wird. Auch die in den letzten zwei Jahrhunderten bekämpften und vergessenen.

Dies freut uns sehr - die Kernlande des Jiddischen, die Zentren jiddischen Lebens vor dem Holocaust, öffnen sich wieder und bieten wieder Lebensraum für jüdische Gemeinden. Wir begrüßen speziell S.E. Herrn Evaldas Ignatavicius Botschafter der Republik Litauen und Frau Mihaela Manoli, Gesandte der Republik Moldau.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, meinen 11 Kollegen aus dem Förderverein herzlich zu danken. Ihr ideelles, ihr zeitliches, finanzielles Engagement hat EYDES möglich gemacht. Einige sind heute Abend hier: Einen davon möchte ich besonders begrüßen: Herrn Prof. Dr. Marvin Herzog.

Marvin Herzog ist Schüler des berühmten Jiddisten und Linguisten Uriel Weinreich, dem früh verstorbenen Gründer des Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry, und Weinreichs Nachfolger in der Leitung der Arbeiten an der Columbia-Universität. Professor Herzog war mutig genug, mit deutschen Kollegen zusammen zu arbeiten, als sich 1991 die Möglichkeit bot, den damaligen Leiter der Linguistischen Datenverarbeitung des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache, Robert Neumann, ins Boot zu holen, um den Language and Culture Atlas ans Ziel zu bringen.

Des weiteren gebührt Herrn Prof. Herzog das Verdienst, dass er uns Frau Dr. Ulrike Kiefer schickte, deren Begeisterung und Engagement für das Archiv uns in der Folge angesteckt hat. Sie sichert für den Förderverein die Qualität dessen, was wir zu Jiddisch sagen.

Nicht im Förderverein präsent aber ein sehr verdienstvoller Förderer ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Die Durchführung unseres EYDES-Projekts wäre nicht möglich gewesen ohne eine Förderpolitik, wie sie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung zugrunde liegt, mit entsprechender Handlungsfreiheit, Entscheidungsfähigkeit, Ausrichtung auf den Gemeinnutz und mit ausreichend großem Haushalt. Ich möchte der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung an dieser Stelle danken, auch wenn sie ihrem eigenen Kodex entsprechend heute Abend nicht anwesend ist.

Als weiterer herausragender Förderer wird gleich Herr Heinrich Meyer sprechen. Er kann uns sagen, was EYDES aus der Sicht der Förderer attraktiv macht.

Bleibt die Frage: Was ist das Neue an EYDES? EYDES bringt einen so flüchtigen Kulturträger wie gesprochene Sprache auf die Ebene des ‚Artefakt' und stellt dieses Artefakt weltweit zur Verfügung. Es macht diese Sammlung von Artefakten weltweit zugänglich. Es macht die Materialflut mit den Möglichkeiten des Language Engineering durchschaubar und auswertbar. Es stellt öffentlich im Internet ein Labor bereit, um jedem die Analyse dieser Artefakte nach jeweiligem Interesse zu ermöglichen.

Es ist in der Lage dies zu tun, weil es dazu neueste Informationstechnologie an der Front der Forschung, sogenanntes Language Engineering, nutzt. Mit EYDES wurden über mehr als 10 Jahre hinweg beharrlich, mit großer Übersicht, zielstrebig und immer produkt-orientiert aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen gebündelt, mit geeigneten Management-Methoden in Produkte umgesetzt, und es wurde beim Einwerben der Finanzmittel erfolgreich in einem schwierigen Metier „private public partnership" praktiziert. Diesen Erfolg verdankt der Förderverein wesentlich seinem Vorstandsmitglied Robert Neumann. Sie müssen weiterhin mit ihm rechnen; er wird auch zukünftig etwas von Ihnen wollen – immer dann, wenn es um EYDES geht.