EYDES  EYDES
Die Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten hat das Jiddische an den Rand des Untergangs gebracht. Damit wurde nicht nur eine Sprache, sondern ein kulturelles Universum beinahe vollständig ausgelöscht; eine ganz eigene Welt, die jüdisch war, ohne nur religiös gewesen zu sein.
Abgesehen von den leidvollen Erfahrungen mit dem Holocaust kennen heute die meisten Men-schen in Europa die jiddische Sprache und Kultur - wenn sie sie überhaupt wahrnehmen - nur noch aus nostalgischen Filmen und unterhaltsamen Musicals oder Anekdoten. Jiddisch und alles, was damit zusammenhängt, wird mehrheitlich als zwar liebenswerte, aber letztlich doch exotische und anachronistische Folklore wahrgenommen. Es ist zu einem blinden Fleck im Auge der Europäer geworden und war doch über lange Zeit wichtiger und unverzichtbarer Teil europäischer Identität.
Im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind jiddische Sprache und Kultur zu seltener Blüte gelangt. Jiddische Künstler und Intellektuelle leisteten unverzichtbare Beiträge zur Entwicklung der europäischen Kunst und Literatur der Moderne. Jiddisches Theater entwickelte eigene, vielbeachtete Ausdrucksformen.
In seinem Kern war das Jiddische Eckpfeiler einer ganz eigenen Lebenswelt. Diese war geprägt durch ein differenziertes System des Lernens und Lehrens, durch ein vielgestaltiges Verbandswesen, durch eigene soziale Organisationen und durch politische Mitbestimmung ihrer Repräsentanten in kommunalen Vertretungen und überörtlichen Parlamenten. Als Sprache war Jiddisch grenzüberschreitend weit verbreitet. Es war zur "jüdischen Sprache schlechthin" geworden, wie Ruth Klüger zu Recht geschrieben hat. Allein in Europa gab es im Jahr 1933 über 10 Millionen Menschen, die jiddisch von Zuhause her sprachen und verstanden. Heute gibt es weltweit nur noch um die 2 Millionen, zumeist ältere Menschen, die das können. 
In seinem angestammten Sprachraum ist Jiddisch seit Beginn der nationalsozialistischen Okkupation jäh zerstört worden; in zwangsweiser Umsiedelung und flächendeckendem Massenmord wurde die kulturelle und nationale Vielfalt der jiddischsprachigen Menschen mit allen ihren Sozialstrukturen brutal ausgelöscht. Und der Prozeß der Verfolgung war 1945 nicht zuende. Die nachfolgenden stalinistischen 'Säuberungen' taten ein übriges. Jüdische Künstler, Gelehrte und Repräsentanten des öffentlichen Lebens wurden ermordet oder in Lager verschickt, und der Wiederaufbau von geflüchteten oder unversehrt gebliebenen Gemeindeteilen wurde gezielt unmöglich gemacht.
 Ausgangspunkt dieser Entwicklung war und ist die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Sie hat dem Jiddischen buchstäblich den Lebensnerv geraubt. Wir Deutschen haben deshalb bei der Rettung und Sicherung der jiddischen Sprache, unserer Schwestersprache, die ein Weltkulturerbe ist, eine besondere Verantwortung. Dieser Verantwortung fühlt sich der Förderverein für Jiddische Sprache und Kultur verpflichtet. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, Projekte und Arbeiten zur jiddischen Sprache und Kultur anzuregen und zu unterstützen. 

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Schwerpunkte seiner Arbeit sind dabei:
  • Sammlungen zur jiddischen Sprache und Kultur,
  • Aufarbeitung von Sammlungen zum Jiddischen,
  • Verbesserung der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Archive des Jiddischen,
  • Verbesserung der Wirksamkeit und Präsenz des Jiddischen im öffentlichen Kulturbetrieb,
  • Verbreitung von Kenntnissen zum Jiddischen und seiner Kultur,
  • Anregung und Unterstützung von Projekten, die in diesem Sinne wirken.
Vorrangiges Ziel des Fördervereins ist es, das Archiv des jiddischen Sprach- und Kulturatlas (LCAAJ) und das Projekt EYDES zu sichern bzw. auf den Weg zu bringen. Langfristig will der Verein an der Gründung eines europäischen Jiddisch-Zentrums mitwirken, das im Sinne einer Sprachakademie für das europäische Jiddisch wirkt und wirbt.
Anknüpfungspunkte dazu sind neu gegeben. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und nach dem Zerfall des kommunistischen Blocks ist die Situation für das Jiddische heute offener, als sie es in der Zeit des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation gewesen ist. Freilich ist die Gefahr antijüdischer Ausschreitungen und erzwungener Emigrationswellen längst nicht gebannt. Angesichts der instabilen politischen, sozialen, und wirtschaftlichen Verhältnisse im Osten Europas kann sie sogar wieder wachsen. Die Zuwanderung von jüdischen Menschen aus der früheren Sowjetunion, deren Wurzeln noch in das Jiddische hineinreichen, hat diese Sprache und die mit ihr verbundene Kultur im deutschsprachigen Raum und vor allem in der Bundesrepublik Deutschland wieder präsenter gemacht. Auch von daher ergeben sich reale Möglichkeiten, der jiddischen Sprache und Kultur zu neuem Leben zu verhelfen und ihre Vielfalt und ihren Reichtum wieder ins allgemeine eu-ropäische Bewußtsein zu heben.
Besonders froh sind wir deshalb über die Empfehlung Nr. 1291, die von der beratenden Versammlung des Europarats am 20. März 1996 verabschiedet wurde. Da heißt es unter anderem:
" Es ist bedauerlich, daß die Hauptzentren für jiddische Kultur gegenwärtig außerhalb Europas liegen: in Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika. Aus historischen und kulturellen Gründen sollte Europa in diesem Bereich tätig werden und in Europa Zentren für jiddische Kultur, Forschung und Sprache einrichten. Das Schicksal der jiddischen Sprache und Kultur ist dem vieler verlorener und verschwindender Kulturen in Europa vergleichbar. Jedoch hängt die Stabilität Europas davon ab, daß ein pluralistisches System kultureller Werte gefördert und akzeptiert wird."
In diesem Sinne möchte der Förderverein für Jiddische Sprache und Kultur einen Beitrag zur Reintegration des Jiddischen in das europäische Bewußtsein leisten. Das ist auch ein Beitrag zum inneren Frieden auf unserem Kontinent; er dient der Sicherung der kulturellen Vielfalt und damit der Stabilität und Zukunftsfähigkeit Europas.