Info Orthographie des Wortindexes

Für das EYDES-Projekt haben wir beschlossen, die Interviews in allgemein gültiger jiddischer Orthographie und nicht in Lautschrift zu verschriften. Dies mag zunächst verwunderlich scheinen, ist doch die Sammlung des Archivs darauf angelegt, den Facettenreichtum aschkenasischer Kultur gerade sprachlich 'zu Wort kommen' zulassen. Schon beim sporadischen Hineinhören ins Archiv fällt sogleich die große Bandbreite unterschiedlicher Ausprägungen von Sprecher und Sprache auf. Die dialektalen Unterschiede sind bei einer Verschriftung in standardisierter Orthographie natürlich nicht oder nur zu einem ganz geringen Teil ablesbar. Sie müssen es aber auch nicht sein, denn in EYDES ist die Schrift ja nur Vehikel, das zum Originalton führt. Primärinstanz sind die Stimmen selbst und die Fülle ihrer Schilderungen mit allen Details - auch den sprachlichen - die sich akustisch den Benutzern des Archivs präsentieren.

Die Vorteile der Entscheidung, die Verschriftung der Interviews in der üblichen jiddischen Orthographie vorzunehmen, liegen auf der Hand. Für das Projekt mußte kein spezielles Transskriptionssystem entworfen und implementiert werden, das in der Lage wäre, der großen sprachlichen Variation der Aufnahmen gerecht zu werden. Transkribenten der Interviews brauchen kein linguistisches Spezialtraining, bevor sie mit dem Verschriften beginnen. Auch für die Nutzer des Archivs gibt es keine Barrieren, denn die gemeinhin übliche Orthographie können alle Kenner des Jiddischen lesen, unabhängig von akademischen Vorkenntnissen. Und da Wörter in der üblichen Orthographie in den gängigen Wörterbüchern nachgeschlagen werden können, ist das Archiv auch für Nutzer offen, die selbst des Jiddischen nicht mächtig sind. Das Archiv ist damit für die breiteste Öffentlichkeit zugänglich, nicht nur für Spezialisten – einer der zentralen Beweggründe für die Archiventwickler.

Daneben ist der Kostenfaktor nicht zu vernachlässigen: gerade bei einem so umfangreichen Archiv muß die Finanzierung überschaubar sein. Die Ausgaben dürfen einen gesellschaftlich akzeptablen Rahmen nicht überschreiten und müssen beherrschbar bleiben, sonst finden sich keine Geldgeber. Bei einem Archiv von an die 6000 Stunden Tonmaterialien kann sich jeder den Aufwand an Zeit und Kosten ausrechnen, der für eine lautliche Verschriftung mit einem Faktor von 1:10 bis zu 1:100 und einem Stundenlohn von 60 Euro nötig wäre – so die Veranschlagungen von Phonetikspezialisten. Wenn sich denn überhaupt geeignete Bearbeiter finden ließen, wäre kaum ein Geldgeber denkbar, der die Arbeit bezahlt.

Beim Verschriften in Normalschrift kann man stattdessen auf professionelle Sekretärskompetenz rekurrieren und von einem Verschriftungsfaktor 1:2 oder 1:3 ausgehen, ähnlich dem Prinzip von 'Schreiben nach Diktat'. Die Transkriptionsarbeiten bleiben plan- und finanzierbar.

Der Zeitdruck bei der Verschriftung und die eventuell fehlende wissenschaftliche Ausbildung erhöhen die Wahrscheinlichkeit, daß Fehler gemacht werden. Den Transkribenten können Hörfehler unterlaufen, oder sie können Schreibfehler machen. Ein Blick auf den Wortindex zeigt immer wieder Einträge, die es korrekterweise in dieser Form nicht gibt. An anderen Stellen spiegelt der Ton nicht das, was im Index steht. Daß solche Fehler auftreten, ist normal, und es wird aufgrund der laufenden Erfahrungen überlegt, wie sie computergestützt korrigiert und zukünftig verringert werden können. Aber es bleibt wichtig festzuhalten, daß solche Fehler gerade durch die Präsenz des Originaltons offenbar werden und festgehalten werden können. Die Transkription in EYDES muß kein Original ersetzen (wie Transkriptionen bisher meist), sondern sie macht im Gegenteil den Ton zugänglich. Auch die wissenschaftliche Interpretation des Tons wird damit nachvollziehbar und überprüfbar.

Die übliche Orthographie im größten Teil der Transkripte ist richtet sich nach dem sogenannten YIVO-Standard. Varianten sind zum Teil auf israelische Transkribenten zurückzuführen und auf die Tendenz, bei den Grundbuchstaben keine Diakritika zu setzen, die auch für das Modernhebräische gilt (etwa kein Pasekh zu setzen beim Buchstaben Alef, wenn es sich um die Entsprechung zum Vokal a handelt – im Index ergeben sich dann Nullstellen wie bei dem lautwertlosen Shtumer Alef).

Obwohl wir uns zum YIVO-Standard entschlossen haben, ist dessen Beherrschung nicht zwangsläufig ausschlaggebend für die Auswahl der Transkribenten. Im Sinne einer förderlichen Integration unterschiedlicher Orthographien und der Beteiligung nicht-akademischer Transkribenten lassen wir abweichende Schreibgewohnheiten zu, wenn sie sich in eine regelhafte Beziehung zum YIVO-Standard setzen lassen.